Freunde, Gefährten! Kommt heran und setzt euch ans Feuer, füllt euren Becher mit warmem Tee und lauscht meiner Geschichte …
Es war im sechsten Monat des Jahres 2022. Unser Stamm Ancalagon näherte sich seinem Jubiläum. Das fünfzehnte Jahr seit seiner Gründung kam zum Ende, und welch besseren Zeitpunkt konnte es geben, um die gemeinsame verbrachte Zeit zu würdigen und zu feiern? Fünfzehn Jahre schon hatte die Flamme des Drachen Ancalagon Mensch um Mensch angesteckt, war gewachsen, bis sie schließlich die Feuer in unseren Zelten und unter unseren Kochtöpfen warm lodern ließ. Und diese Zelte und Kochtöpfe wurden nun aus den Lagern hervorgeholt, abgestaubt und ausgeklopft, denn die Ancalagon-Convention, kurz AncalaCON, stand unmittelbar bevor!
In alle Weiten drang der Ruf hinaus: kommt herbei, feiert mit uns! Und sie kamen von nah und fern, aus allen Richtungen dieses Landes, die Riesen aus dem Süden, die Reiter aus dem Osten, von weit her, aus dem Westen, die Tscherkessen, und über alle spannte Ancalagon, der größte aller Drachen, seine Flügel.
Was für ein Fest, meine Freunde, was für ein Fest es werden sollte! Auf dem Marktplatz zwischen den Zelten tummelten sich die Pfadfinder, alte Freunde fielen sich in die Arme, neue Bekanntschaften wurden geschlossen. Aus dem Küchenzelt drang zu jeder Tageszeit ein verführerischer Duft an die laue Sommerluft und weckte Vorfreude auf warme, deftige Speisen, süßes Gebäck, frisches Wasser und schmackhaften Tee. Die Sonne hüllte unser Zeltlager in ihren goldenen Schein, der blaue Himmel strahlte auf den bunten Trubel hinab, der hinter dem stattlichen Lagertor vor sich ging.
Da gab es eine Bühne, von fachkundiger Hand gezimmert, auf der die Theaterfreunde ihre Schauspielkünste erproben konnten, das Pintenzelt, in dem Getränke ausgeschenkt wurden und das abends zur gemütlichen Singerunde einlud, zwischen den Bäumen aufgespannte Hängematten, in denen man die Nachmittagssonne genießen konnte, und die Entspannungsjurte, mit Wimpelketten, Kerzen und Kissen aller Art ausgestattet. In einem eigenen Lagerbereich hatten viele fleißige Hände die Schlafkothen und -jurten errichtet, zwischen den Zelten wuselten Kinder, Jugendliche und Erwachsene umher, einige mit Bällen, Jonglierkeulen oder anderen Sportgeräten beschäftigt, andere mit Papier und Stiften in ihre kreativen Tätigkeiten vertieft.
Der Großteil der Tage wurde jedoch von einer breiten Auswahl an Angeboten eingenommen, die von Kerzenziehen und Fackeln bauen über Meditation, Yoga und Kluft benähen bis hin zu Wikingerschach, Speckstein schleifen und Graffiti sprühen alles zu bieten hatte, was sich ein jeder nur wünschen konnte. Hatte der eine sein Lederarmband zu Ende geflochten, so konnte er sich ohne Umschweife dem Schnitzen widmen, und war die andere erschöpft vom Hämmern und Sägen in der Holzwerkstatt, so konnte sie sich den fröhlich Musizierenden anschließen. Von Zeit zu Zeit fanden sich alle wieder zusammen, um sich beispielsweise an einer Vielzahl von Essensständen ihr wohlverdientes Mittagessen auszusuchen oder in einer Olympiade in Gruppen gemeinsam dem Sieg entgegenzufiebern.
Die Abende warteten mit besonderen Ereignissen auf, um den späten Stunden des Tages eine angemessene Würde zu verleihen. So sammelten wir uns am Freitagabend vor dem nahegelegenen Schwimmbad, um die warmen Temperaturen in ihrer Fülle auszunutzen und uns vom kühlen Nass angemessen erfrischen zu lassen. Am Samstag, als die Sonne fast schon unterging, traten auf der großen Bühne und vor großem Publikum alle, die wollten, in einem Talentwettbewerb gegeneinander an. Da wurde viel gelacht und gestaunt ob der Fähigkeiten, des Humors und den Künsten, die dort dem rötlich schimmernden Abendhimmel präsentiert wurden.
Der wahre Abschluss des Jubiläumslagers aber war der Sonntagabend. Als die Nacht sich bereits über die Wiesen und Zelte gelegt hatte, als der Trubel des Tages langsam verklungen war und dem vielstimmigen Gesang am Feuer in der Pinte Platz gemacht hatte, ertönte auf einmal ein Signal von draußen. Überrascht traten wir aus dem schützenden Halbdunkel des Zeltes unter den sternbedeckten Himmel, mit neugierigen Blicken, die Becher mit duftendem Chai noch in der Hand. Und siehe da – vor den Zelten hatten sich Feuerkünstler eingefunden, die ihre Flammen durch die Nacht lodern ließen. Im weiten Halbkreis standen wir dort und bestaunten die feurigen Kugeln, die in großen Bahnen kreisten und die funkensprühenden Stäbe, die so schnell wirbelten, dass es den Anschein hatte, als würden Feuergeister wild durch die kalte Luft tanzen. Und dann, zum Abschluss – unserem Stamm und dem Drachen Ancalagon zu Ehren – loderte eine riesige Feuerwand vor uns auf, die in einem Regen aus glühenden Funken zerstob.
Ach, Freunde, noch heute sehne ich mich nach diesem Fest in seiner ganzen Pracht zurück. Doch so sehr ich auch in Erinnerungen schwelge, ich weiß doch, dass es nicht das letzte Lager gewesen sein wird, dass unser Stamm noch viele Jubiläen feiern wird. Und ich freue mich schon jetzt darauf, dort am Feuer zu sitzen und von all den großen und kleinen Dingen zu erzählen, die wir im Jahr 2022 erlebt haben.
~ Karpador